Samadhi-Pada – Über Erleuchtung: Darum geht es im ersten Kapitel der Yoga Sutren des Patanjali. Darin versammelt ist jahrtausendealtes Wissen, das aufgrund seiner klaren Sprache auch heute noch aktuell ist. Dieser Leitfaden des Yoga ist natürlich auch Teil meiner Ausbildung zur Yogalehrerin.
An unserem dritten Ausbildungswochenende ging es genau darum: Genauer gesagt um die Verse 1.1 bis 1.9, die wir gemeinsam mit Andrea auch gechantet haben. Ungewohnt war das, zumal wegen der momentanen Corona-Situation online (ich hoffe sehr, dass wir uns alle endlich bald persönlich kennenlernen und uns nicht nur über den Bildschirm sehen). Auch wenn ich die Sanskrit-Wörter natürlich nicht verstehe, haben sie im Chanten doch einen schönen Klang.
Interessant wird es aber vor allem, wenn man anfängt, sich ein wenig mit den verschiedenen Übertragungen ins Deutsche zu beschäftigen. Ich besitze mittlerweile vier verschiedene und jeder Autor legt einen etwas anderen Fokus. Allein das zu vergleichen, lässt den Interpretationsspielraum erahnen, den die Sutren bieten. Kein Wunder, gibt es zum Beispiel nur vier Verben darin, wie uns Andrea erklärt hat. Für unsere Hausaufgabe ist der Blick in die Bücher hochinteressant, denn wir sollen zusammenfassend erklären, was für uns die Verse bedeuten.

Vers 1.1
Der erste Vers scheint dabei noch recht klar und einheitlich: „Jetzt folgt eine Einführung in Yoga, die auf Erfahrung beruht.“ schreibt R. Sriram. In TKV. Desikachars Übersetzung heißt es: „Hier nun beginnt der Text, der uns Erläuterungen zum Yoga überliefert.“ Und B.K.S. Iyengar hat es in seinem Buch „Der Urquell des Yoga. Die Yoga-Sutras des Patanjali“ so beschrieben: „Nun beginnt die Darlegung der Kunst des Yoga.“ Ronald Steiner bietet auf seiner Seite ashtangayoga.info einen modernen Transfer an, er schreibt: „Dieser Moment ist Deine Chance, in den Zustand des Yoga einzutauchen.“
Interessant ist, dass nicht Patanjali sich diesen Leitfaden ausgedacht hat, sondern diese Vers-Sammlung „auf Erfahrung beruht“, wie R. Sriram es in seiner Übersetzung formuliert. Es muss sie also schon vor Patanjali gegeben haben. Ich mag aber auch Steiners Übersetzung, weil sie so gut in unsere Zeit passt. Man könnte diesen ersten Satz auch als Aufforderung verstehen: Nimm Dir die Zeit und mach genau jetzt Yoga. Nicht später, weil Du gerade noch so viele andere Dinge zu tun hast, nein genau in diesem Moment. Und lass Dich nicht ablenken, sondern konzentriere Dich auf Deinen Atem und Deine Asanas.
Vers 1.2
Was es mit diesem Yoga nun auf sich hat, das versucht Sutra 1.2 zu erklären: „Yoga ist der Zustand, in dem die Bewegungen des Geistes in eine dynamische Stille übergehen“ (R. Sriram). Diese „dynamische Stille“ finde ich eine gute Definition, denn uns ist es normalerweise nicht möglich, alle Gedanken komplett auszuschalten, aber vielleicht schaffen wir es, sie für eine Weile wegzuschieben, während wir Yoga praktizieren. Denn um sie komplett zur Stille zur bringen, müssten wir wahrscheinlich als Asketen irgendwo in einer abgelegenen Höhle leben. Kaum vorstellbar. Aber in diese Richtung geht B.K.S Iyengars Übertragung: „Yoga ist das Aufhören der Bewegungen im Bewusstsein.“
Sehr praktisch geht es T.K.V. Desikachar an, er beschreibt Sutra 1.2 so: „Yoga ist die Fähigkeit, sich ausschließlich auf einen Gegenstand, eine Frage oder einen anderen Inhalt auszurichten und in dieser Ausrichtung ohne Ablenkung zu verweilen.“ Klingt einfach und irgendwie auch naheliegend, ist aber in der Praxis gar nicht so einfach, gerade weil uns so oft so viel durch den Kopf geht. Sehr treffend finde ich auch Ronald Steiners modernen Transfer: „Im Zustand des Yoga ist Dein innerer Wahrnehmungsraum völlig klar.“ Yoga hilft uns also dabei, unsere Gedanken zu sortieren und Klarheit im Bewusstsein zu schaffen, so dass wir (wieder) bei uns selbst ankommen.
Vers 1.3
Und genau darum geht es im Vers 1.3, R. Sriram schreibt: „In diesem Zustand ruht das sehende Selbst in der eigenen Form (und kann folglich erkannt werden).“ B.K.S. Iyengar bringt es so auf den Punkt: „Dann weilt der Seher in seinem eigenen wahren Zustand.“ T.K.V. Desikachar wählt eine andere Übersetzung: „Dann scheint in uns die Fähigkeit auf, etwas vollständig zu erkennen.“ Wir erkennen uns also nicht nur selbst und sehen unser innerstes Licht ganz klar. Wir erhalten die Fähigkeit, etwas vollständig zu erkennen. „Mit Klarheit in Deinem inneren Wahrnehmungsraum kannst Du Deine wahre Essenz direkt erfahren“, schreibt Ronald Steiner in seinem modernen Transfer des Sutras 1.3. Es ist also eine Reise ins Innere, um uns selbst zu erfahren und uns selbst zu sehen.
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